Meine Artikel darüber, wie sich Burnout eigentlich anfühlt und was es mit einer Blutphobie auf sich hat, kommen bei den Lesern dieses Blogs extrem gut an. Das freut mich immens! Daher widme ich mich mit diesem Artikel nun einem weiteren wichtigen Thema, zu dem ich eine Menge erzählen kann: Sozialphobie.
Während sie bei mir durch die kPTBS und vorhergehendes jahrelanges Mobbing praktisch zum Alltag gehört, spricht man in der Regel immer dann von einer sozialen Phobie, wenn die Ängste mindestens 6 Monate lang anhalten. Betroffene haben dabei panische Angst davor, von anderen als merkwürdig, peinlich oder auch lächerlich betrachtet zu werden. Sie meiden soziale Situationen und Menschenansammlungen und fühlen sich darin besonders unwohl.
Damit eine Sozialphobie diagnostiziert werden kann, darf sie nicht durch Medikamente, Drogen, eine psychische Störung (ausgenommen (k)PTBS) oder körperlichen Erkrankungen zusammenhängen. Im Fall einer Depression zum Beispiel wären die Symptome der Sozialphobie zwar womöglich erfüllt, aber mit dem Ende der Depression wäre auch die soziale Phobie verschwunden. Daher wird sie in so einem Fall nicht als eigenständige Angsterkrankung diagnostiziert. Anders sieht das bei einem Trauma aus, denn da besteht oft eine Komorbidität. Mit anderen Worten: Zusammen mit einer PTBS treten oft weitere Störungsbilder auf, die von Angststörungen bis hin zu Essstörungen reichen können.
Es ist nicht wahr, dass schüchterne Menschen automatisch eine Sozialphobie entwickeln. Genauso muss es auch nicht sein, dass jedes Mobbingopfer oder jeder traumatisierte Mensch eine solche Angst entwickelt. Bei manchen lässt sie sich therapieren, bei anderen wiederum gar nicht. Und Fakt ist auch: Jeder Mensch – auch solche, die keine Sozialphobie haben – leiden hin und wieder unter Situationen, die Betroffenen das Leben zur Hölle machen.
Woran genau das liegt, ist eine Sache, über die sich Experten nach wie vor streiten. So kennen viele Menschen zum Beispiel das Gefühl, absolut nicht mit fremden Leuten telefonieren zu wollen, oder öffentliche Reden zu verabscheuen, bei denen alle Augen auf einen gerichtet sind. Erfahrungsgemäß kann ich sagen, dass es eine Grenze überschreitet und als Sozialphobie gilt, wenn man Symptome zu verspüren beginnt und Verhaltensmuster entwickelt, die den Alltag negativ beeinflussen. Dazu zählen:
- Angstgefühle (Prüfungsangst, Angst öffentlich zu essen oder sprechen, Angst Menschen zu treffen, Angst vor Kritik)
- Soziale Inkompetenz (nicht in der Lage sein, Blickkontakt zu halten, soziale Isolation und starkes Vermeidungsverhalten, Unfähigkeit unverbindlichen Smalltalk zu führen; auch online)
- Körperliche Reaktionen (von starkem Erröten und Zittern über Schwitzen bis hin zu Herzrasen, Übelkeit, Durchfall und Panikattacken)
Betroffene wissen, dass ihr Verhalten übertrieben ist, aber sie können eben nichts dagegen tun. Wer würde sich schon freiwillig einer Situation aussetzen, die eine Panikattacke zur Folge hätte?
Wer nicht dazu in der Lage ist, sein Leben so auszurichten, dass er Situationen meiden kann, in denen seine Phobie anschlägt, der hat oft massiv an Lebensqualität einzubüßen. Aber die gute Nachricht ist gleichzeitig, dass diese Phobie oftmals austherapiert werden kann. Betroffene können also durch einen Krankenstand vermeiden, weiter der schädlichen Situation ausgesetzt zu sein, währenddessen eine Therapie machen und dann gesund zu ihrem Arbeitsplatz zurückkehren.
Was passiert, wenn man die Sozialphobie unbehandelt lässt?
Es geht ja nicht nur um private oder berufliche Feierlichkeiten, denen man fernbleibt, um bloß die Panik nicht zu triggern. Betroffene haben Schwierigkeiten damit, einkaufen zu gehen oder machen wichtige Lebensentscheidung von ihrer Angst abhängig. So wird ein tolles Jobangebot ausgeschlagen, weil man Angst hätte, mit untergebenen Mitarbeitern zu arbeiten. Oder man setzt die Beziehung aufs Spiel – oder kommt gar nicht erst mit dem Partner der Träume zusammen, da man solche Angst hat, fremde Menschen zu treffen.
Bei jedem Phobiker wirkt sich die Sozialphobie anders aus und es ist auch nicht lückenlos erwiesen, dass sie sich mit der Zeit automatisch verschlechtert. Allerdings kann man davon ausgehen, dass die Phobie immer schlimmer wird, wenn man sich völlig isoliert. Das hängt aber nicht mit der Phobie an sich zusammen, sondern mit der Tatsache, dass man sozial immer inkompetenter wird, wenn man gar keinen Kontakt mehr zur Außenwelt hat. Dann wird man von Fremden automatisch als seltsam erachtet und damit begibt man sich in einen gefährlichen Teufelskreis.
Klar ist auch: Eine Sozialphobie verschwindet nicht von alleine. Man muss aktiv etwas dagegen tun.
Wie wird eine Sozialphobie therapiert?
Es gibt kein Schema F, nach dem eine Sozialphobie geheilt werden kann. Manche Personen werden medikamentös behandelt, etwa durch Antidepressiva oder Beruhigungsmittel. Andere wiederum bekommen eine spezielle kognitive Verhaltenstherapie. Mein Psychiater setzte bei mir auf die Konfrontationstherapie und das Entwickeln von Coping Mechanismen.
Coping Mechanismen, zu Deutsch Bewältigungsstrategien, sind bei einer Sozialphobie von großer Wichtigkeit. Soziale Angststörungen gelten nämlich als relativ therapieresistent und können in einzelnen Fällen auch zum chronischen Zustand werden.
Meine persönliche Vermutung: Das liegt daran, dass wir (im Sinne von: die Öffentlichkeit) uns zu wenig damit auseinandersetzen, was jahrelanges Mobbing und andere Traumata mit unserer Psyche machen. Dass die Schäden nämlich nicht zu unterschätzen sind, ist etwas, das man meinem Gefühl zufolge erst in den letzten paar Jahren wirklich zu realisieren beginnt.
Obwohl Sozialphobien auch ernstzunehmende Angsterkrankungen sind – eben weil sie so einschneidende körperliche Symptome auch mit sich bringen – werden sie von vielen Menschen immer noch belächelt. Angst vorm Telefonieren wird damit abgetan, dass man das lediglich üben müsse. Aber ein so arrogantes Verhalten kennt man ja auch von Depressionen, wenn es heißt, man müsse sich nur dazu aufraffen, rauszugehen und frische Luft zu schnappen…
Gefährlich ist die soziale Phobie auch durch die hohe Wahrscheinlichkeit, dass man Begleiterkrankungen entwickelt. Etwa eine Alkoholabhängigkeit (= negative Bewältigungsstrategie) oder eine Depression.
Partnerschaft mit Sozialphobie denkbar?
Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen: Ja, aber die Umstände müssen entsprechend passen!
Tatsächlich gelte ich ja als beziehungsunfähig. Dass meine bislang schon zehnjährige Beziehung dieser Tatsache ordentlich trotzt habe ich aber auch nur dem Umstand zu verdanken, dass mein Freund und ich zusammenpassen wie Pech und Schwefel.
Ich würde daher sagen, dass eine Beziehung mit einem Sozialphobiker dann gute Chancen hat, wenn viel Toleranz und Akzeptanz im Spiel sind. Sozialphobiker sollten direkt mit offenen Karten spielen, denn es wäre unfair, sich auf eine Person einzulassen, die gerne Konzerte besucht oder die sich regelmäßig mit befreundeten Paaren zu Kinogängen und anderen Dates treffen möchten.
Natürlich ist es möglich, als Sozialphobiker solche Situationen einzugehen und dann auch Spaß zu haben. Ich würde aber dringend davon abraten, sich dann so sehr darin einzusperren, dass man keine Möglichkeit hat, das Ganze abzubrechen, wenn es dann doch zu viel wird. Bei Pärchendates ist man stets von anderen abhängig, es bräuchte also insgesamt ein sehr verständnisvolles Umfeld, das in dem Bezug nicht nachtragend ist.
Wie sich meine Sozialphobie für mich anfühlt
Auf keinen Sozialphobiker treffen ausnahmslos alle Punkte zu. Man kann von mir daher nicht sagen, dass ich mich nicht getraut hätte, meinen Partner vor zehn Jahren auch nur anzusehen, weil ich ihn so toll gefunden habe. Oder dass sich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum beschränken. Ich bin ein Social Butterfly und hatte auch auf Conventions nie Probleme damit, Fans von mir bzw. meinem Shop zu treffen. Aber das ist das Ding: Da hatte ich stets einen Tisch zwischen uns. Eine Barriere also, die dafür gesorgt hat, dass mich die Leute nicht einfach berühren konnten.
Meine Sozialphobie weitet sich nämlich auch auf Menschen aus, die ich gut kenne. Ich werde nicht gerne angefasst, das darf nur mein Partner tun, denn dem vertraue ich wortwörtlich mein Leben an. Auch bei meinen Eltern und bei meiner besten Freundin habe ich kein Problem damit. Gegenüber jedem anderen ist das aber nicht so. Selbst meine Brüdern stehen mir nicht nahe genug, dass mir das nichts ausmachen würde. Das aber hängt wohl mehr mit der kPTBS zusammen und damit, dass ich mir extrem schwer tue, anderen zu vertrauen. Ich gehe also davon aus, dass das kein gängiges Symptom einer herkömmlichen Sozialphobie ist.
Soziale Situationen machen mir immer dann Angst, wenn ich nicht weiß, womit zu rechnen ist. Bewerbungsgespräche sind zum Beispiel kein Problem mehr für mich gewesen, als ich noch nicht selbständig war, weil die immer nach einem mir mittlerweile bekannten Schema ablaufen. Mir die Covid-Impfung zu holen war beim ersten Mal extrem schlimm für mich, weil ich nicht gewusst habe, wie das alles abläuft. Mein Partner konnte mir zum Glück schon sagen, wie das bei ihm gewesen ist, was mir geholfen hat, mich seelisch auf die einzelnen Schritte (von der Anmeldung bis zum Warten) einzustellen. Auch die erste Convention war der reinste Stress für mich.
Ich beginne extrem zu schwitzen, mein Herz schlägt rasend schnell. Meine Laune macht augenblicklich eine Kurve nach unten, ich werde gereizt, komme den restlichen Tag schwer von der Situation wieder runter.
Daher meide ich es auch, zu telefonieren, wo es nur geht. Selbst, wenn mich jemand ungebeten anruft, ist das schon so ein Eingriff in meinen persönlichen Freiraum, dass ich ein ungutes Gefühl für eine unbestimmte Zeit habe. Und wenn es sich dann doch mal nicht vermeiden lässt, bin ich zwar unglaublich eloquent und sozial kompetent im Gespräch, aber den restlichen Tag bin ich dann kaum mehr zu was gebrauchen.
Uäh, ich hasse es so sehr, wenn potenzielle Kooperationspartner mit mir telefonieren wollen. Da verzichte ich direkt auf die Kooperation, mag sie noch so geil sein. Glücklicherweise hab ich oft ne breite Auswahl, damit ich mir diesen Luxus überhaupt rausnehmen kann. #Sozialphobie
— Babsi // 난쟁이☆ (๑╹ᆺ╹ ) (@decentdaydream) January 5, 2022
Interessant zu wissen: Toxische Menschen haben oft Sozialphobie
Wer andere mobbt, cholerisch ist oder mit anderen Macht- oder Besitzspielen die Menschen um sich herum quält, hat meist eine Sozialphobie. Mit solchen Methoden versuchen diejenigen nämlich meist, ihre eigene Unsicherheit oder auch Minderwertigkeitsgefühle zu überspielen und zu verdrängen.
Du kannst es dir schon denken: Auch das ist eine negative Bewältigungsstrategie.